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Mariana Castillo Deball

Amarantus

Das Museum fasziniert Mariana Castillo Deball als ein Ort, an dem uns ungewöhnliche, teils unbequeme Objekte begegnen.

In ihrer künstlerischen Arbeit folgt Castillo Deball (*1975, Mexiko-Stadt, Mexiko) deren Geschichten, um einen neuen Blick und ein tieferes Verständnis kultureller, zeitlicher und räumlicher Zusammenhänge zu gewinnen. Sie hinterfragt die museale Erzählung, die über den Objekten liegt. Dazu recherchiert sie in Bibliotheken und Archiven, sucht die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und nutzt Methoden der Archäologie, Ethnografie und historischen Forschung. In umfangreichen Installationen, Skulpturen, Videos, Fotografien, Druckgrafiken und (Künstler-)Publikationen übersetzt Castillo Deball ihre Erkenntnisse in eine eigene, künstlerische Sprache. Mit Blick auf die Gegenwart macht sie entscheidende Momente der Kulturgeschichte sichtbar und lässt uns unsere eigene Entfremdung von den Dingen erfahren.

Der Titel ihrer Ausstellung „Amarantus“ nimmt Bezug auf die weltweit verbreitete Pflanze Amarant, auch Fuchsschwanz genannt. Die Amarant-Samen sind einer der wichtigsten Nahrungsmittel in Mexiko und wurden lange auch in religiösen Ritualen eingesetzt, weswegen sie zeitweise während der spanischen Kolonialzeit in Amerika verboten wurden. Die griechische Bedeutung des Wortes vermittelt die Vorstellung einer Blume, die nie verwelkt. In ähnlicher Weise begreift Mariana Castillo Deball auch die Objekte denen sie folgt. Selbst außerhalb ihres ursprünglichen Kontexts gleichen sie nie verwelkenden Blumen. In diesem Sinne stellt sich die Künstlerin ein Museum vor, das andere Lesarten kulturellen Wissens zulässt und neue Verbindungslinien zwischen den Dingen aufzeigt.

Die Ausstellung im MGKSiegen ist die erste Einzelpräsentation zum Gesamtwerk der mexikanischen Künstlerin in Deutschland. In 14 Räumen werden Werke aus den letzten 15 Jahren präsentiert. Darunter befinden sich zahlreiche aktuelle Installationen, die für die Siegener Ausstellung überarbeitet und neu produziert wurden.
 
Die „Nuremberg Map of Tenochtitlan” (2013) besteht aus einem raumgreifenden Pflaster aus Holzplatten, in welches die erste europäische Karte der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan eingraviert ist, die vor 500 Jahren im Zuge der Eroberung erstellt wurde. Erstmals übermittelt wurde das Original im Jahr 1521 in einem Brief von Hernán Cortés an den spanischen König Karl V. und später als Holzdruck weltweit verbreitet. Diese Darstellung von Tenochtitlan diente dazu, die teuren, spanischen Kolonialbemühungen zu rechtfertigen. Die Veröffentlichung der Karte in Nürnberg im Jahr 1524, zusammen mit der Übersetzung des Briefes ins Lateinische, beflügelte auch die Vorstellungen und brachte die Unterstützung eines großen europäischen Publikums. Sie war das erste und bekannteste Bild, das die Europäer damals von Tenochtitlan hatten.

Zwei andere Werke, die mit einem aktuellen Interesse der Künstlerin an der Evolution in Zusammenhang stehen, wurden ebenfalls für das MGKSiegen überarbeitet. „Pleasures of Association, and Poissons, such as Love–“ (2017) ist eine spiralförmige Installation, welche die Entwicklung der Wirbeltiere – vom Fisch zum Vogel – veranschaulicht, die über einen Zeitraum von 200 Millionen Jahren stattfand. Die spiralförmige Bambusstruktur präsentiert Tuscheabreibungen von fossilen Exemplaren auf Papier, die im Museum für Naturkunde in Berlin hergestellt wurden. „Once I thought the world was somewhere else“ (2021) ist wiederum eine Installation, die sich durch den Galerieraum schlängelt und die Ediacaran-Fossilien in Südaustralien anhand eines mehrschichtigen und immersiven Textildiorama aus zusammengesetzten Farbfotografien erforscht.

Neben diesen Installationen gibt es auch Werke mit direktem Bezug zum Ausstellungsort Siegen. Die Künstlerin beschäftigt sich mit der „Silbernen Taufschale zu Siegen“, die Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen als Geschenk an die örtliche Nikolai-Kirche nach Siegen brachte. Das Objekt steht in Verbindung mit der kolonialen Handelsgeschichte im 17. Jahrhundert. Denn die Schale wurde um 1586 in Peru hergestellt, reiste später im Zusammenhang eines diplomatisch-wirtschaftlichen Austausches und Sklavenhandel nach Afrika und Brasilien, bevor sie schließlich 1658 nach Siegen kam. Das Objekt ist derzeit eines der Schlüsselstücke einer Ausstellung zum Thema Sklaverei im Rijksmuseum in Amsterdam. Aufgrund ihrer Bedeutung und dieser Leihgabe hat die Kirchengemeinde eine digitale Kopie angefertigt und stellt zugleich eine Replik her.  Vor diesem Hintergrund wird Mariana Castillo Deball eine neue Arbeit entwickeln, das sich mit diesem Kontext und der Idee von Reproduktion beschäftigt.
Außerdem wird eine Leihgabe aus dem Siegerlandmuseum, die Radierung „Amazonenschlacht“ (1623) von Lucas Vorsterman I nach Peter Paul Rubens gezeigt. Sie basiert auf dem gleichnamigen Originalgemälde von Rubens, der in seinem Atelier eine Druckwerkstatt betrieb, in der Reproduktionen seiner Werke für ein breites Publikum zum Verkauf und Veröffentlichung in Büchern hergestellt wurden. Castillo Deball interessiert dieser Unterschied zwischen der Einzigartigkeit des Originals und seiner Vervielfältigung als eine demokratischere Möglichkeit Kunstwerke zu vertreiben. Zusammen mit weiteren Werke in der Ausstellung entspinnt sich im Rundgang der Räume eine ebenso wohlüberlegte wie beeindruckende Erzählung durch Castillo Deballs Schaffen.

Mariana Castillo Deball wurde international mit renommierten Preisen ausgezeichnet, darunter der Preis der Nationalgalerie, Berlin (2013), der Zürich Art Prize (2012) oder Ars Viva Award (2009). Sie hat an zahlreichen Großausstellungen und Biennalen teilgenommen, darunter die Sharjah Biennale (2017), Berlin Biennale (2014), dOCUMENTA (13), Kassel (2012) oder die Venedig Biennale (2011). Letzte Einzelausstellungen hatte die Künstlerin unter anderem im Modern Art Oxford, England (2020), im Museum Monash University Museum of Art, Melbourne und im New Museum, New York City (beide 2019). Des Weiteren im San Francisco Art Institute (2016), im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin (2014), dem CCA: Centre for Contemporary Arts, Glasgow, Scotland oder der Chisenhale Gallery, London (2013). Seit 2015 lehrt sie als Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Münster.

Zur Ausstellung erscheint neben einem Begleitheft eine neue Ausgabe von Ixiptla. Das künstlerisch-wissenschaftliche Journal wird seit 2013 von Castillo Deball in Partnerschaft mit wechselnden Institutionen herausgegebenen und vertieft einzelne Fragestellungen ihrer künstlerischen Forschung.

„Amarantus“ im MGKSiegen wird kuratiert von Thomas Thiel und entsteht in Zusammenarbeit mit dem MUAC – Museo Universitario Arte Contemporáneo, Mexico sowie dem Artium – Centro-Museo Vasco de Arte Contemporáneo de Vitoria-Gasteiz, Spanien, wo die Ausstellung – kuratiert von Catalina Lozano – im Anschluss gezeigt wird.

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