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Bericht über Lesung im MGK Siegen
Kreatives Schreiben WiSe 21/22
Julia Wonde

Siegen, 03.02.2022

Ein regnerischer, dunkler, kalter Donnerstagabend, der mich eigentlich dazu verleitet, nach acht Stunden Arbeit zuhause zu bleiben und nicht eine weitere Stunde über die A45 zu gurken. Das Wörtchen „eigentlich“ ist hier entscheidend, denn die Lesung an diesem Abend im Museum für Gegenwartskunst in Siegen belehrt mich eines Besseren. Diese findet statt im Rahmen des Kurses „Kreatives Schreiben“ an der Universität Siegen bei Herrn Koch.

Kaum betrete ich den Eingangsbereich des Museums, werde ich freundlich von einem älteren Herrn begrüßt, der mir ein kostenloses Ticket gibt und meinen Namen von der Gästeliste für die Studierendenlesung streicht. Im nächsten Raum begegne ich direkt Herrn Koch, der mich ebenso freundlich begrüßt und mich dazu einlädt, schon einmal einen Eindruck über die Ausstellungen zu gewinnen. Nachdem ich meinen Mantel und meine Tasche in einem modernen mit Chip gesicherten Spind untergebracht habe, gehe ich also in den zweiten Stock. Ich schaue mich ein wenig um und bin begeistert von den riesigen, modernen und hellen Räumen, an deren Wänden überall Kunstwerke oder Fotos hängen. Direkt merke ich, wie froh ich bin, hierher gefahren zu sein. Kunstausstellungen faszinieren mich einfach jedes Mal. Momentan können Besucher*innen des Musems für Gegenwartskunst in Siegen unter anderem die 70 Fotografien der Ausstellung „Nach August Sander. Menschen des 21. Jahrhunderts“ betrachten.

Die Fotos sind in sieben Kategorien dargestellt: Der Bauer, Der Handwerker, Die Frau, Die Stände (Berufsgruppen), Die Künstler, Die Großstadt (Stadtbewohner) und Die letzten Menschen (am Rande der Gesellschaft). Sander will mit seinen Bildern „das Wesen des Menschen in Beziehung zur Gemeinschaft untersuchen“ (Quelle: Website des MGK Siegen).
Nach meinem kurzen Rundgang setze ich mich in einen Raum dieser Ausstellung zu den bereits erschienenen Studierenden. So langsam trudeln dann die restlichen Gäste ein, das ein oder andere Gesicht kenne ich aus meiner Gruppe des kreativen Schreibens. Wir sind jetzt ca. 20 Personen. Ole aus der Schreibwerkstatt eröffnet kurz danach zusammen mit einer Mitarbeitern des Museums die Lesung, bei der fünf Studierende ihre kurzen Texte zum Thema „Herkunft“ vortragen und eine Studierende sogar musikalisch etwas vorträgt.

Eva ist die erste. Ihren Text „Keine Zeit“ kenne ich schon, weil sie in meiner Seminargruppe ist. Sie schreibt von dem schwierigen Verhältnis mit ihrer Mutter, die kaum Zeit für sie hatte als Kind und von ihrem (imaginären) Verbündeten Max. Der Text lässt Traurigkeit und Einsamkeit anklingen. Als Zuhörende bin ich nachdenklich gestimmt und bewundere Eva bezüglich ihrer Offenheit. Als Zweiter liest Christian seinen Text „Was sind Menschen und wozu sind sie gut?“ vor. Sein Text ist das komplette Gegenteil zu dem von Eva. Eine Art philosophische Abhandlung könnte man meinen, die sich auf Kunst und „anderen Unsinn“ bezieht, wie Christian so schön sagt. Er schreibt über die Spezies Menschheit und wie notwendig diese ist. Zwischendurch muss ich bei seinen Ausführungen schmunzeln und höre ihm gespannt zu. Danach singt eine Studierende einen eigenen Song während sie sich selbst auf der Gitarre begleitet. Sie hat eine kraftvolle, beeindruckende Stimme. Ihre verklanglichte Poesie erfüllt den Raum und die sich wiederholenden Phrasen „You’re a part of me and I’m a part of you“ bleiben im Gedächtnis.
Valerie ist die vierte, die im Rahmen der Lesung etwas vorträgt. Auch ihren Text „Dornen“ kenne ich bereits und bin dennoch wieder wie in einen Bann gezogen. Sie verarbeitet in diesem Vortrag Träume, die sie entweder in der Kindheit schon hatte oder die einfach immer wieder auftreten. Die realistische Darstellung ihres Dornentraums ist so beängstigend, dass ich ebenso erleichtert bin wie ihr lyrisches Ich, das am Ende aufwacht.
Der fünfte Text ist von Vivien, der in einer anderen Zeit spielt und von einem jungen Herrn namens Campbell handelt. Es geht um Schwindsucht und viele verwirrende Schilderungen aus dem letzten Jahrhundert.
Der wohl speziellste Text „Therapie“ von Yannic handelt von einem goldenen Käfig, dem Ausbruch aus diesem und dem Neuland, das sich als Siegen und seinen Besuch an der städtischen Universität entpuppt. Yannic verarbeitet hier in einer Art Tagebuch seine teils guten, teils schwierigen Lebensphasen und ist sehr ehrlich über seine psychische Verfassung. Ich bekomme Gänsehaut bei seinen Worten und finde es sehr mutig, dass er das alles mit uns teilt.
Den Schluss macht erneut die Kommilitonin mit einer musikalischen Zugabe. Ihre laute, einzigartige Stimme lässt uns Zuhörende beseelt zurück.

Während dieser eineinhalb stündigen Lesung herrscht eine besondere Stimmung. Jeder Text kann für sich wirken und bekommt die Anerkennung, die er verdient. Meine Blicke schweifen während des Vorlesens durch den Raum, bleiben an manchen Fotografien hängen, um dann wieder zum/zur Vortragenden zurückzugleiten. Dies passiert nicht, weil mir langweilig ist oder mich die anderen nicht interessieren. Nein, es sind sehr nachdenkliche Themen, die meine Kommiliton*innen hier anschneiden und ich neige schon immer dazu, besser zuhören zu können, wenn ich mir meine Umgebung mitanschaue.

Die Lesung war der absolute Kontrast zum Wetter draußen. Die Dunkelheit des Winters gegen die Helligkeit der Ausstellung und klaren Gedanken meiner KommilitonInnen. Ich bin dankbar, mit dabei gewesen zu sein.

ab